Chronische Erkrankungen beim Hund – Teil 2

Die ersten Tage nach der Diagnose sind überstanden. Du hast die wichtigsten Fragen gestellt, vielleicht eine Zweitmeinung eingeholt und die ersten Informationen über die Krankheit deines Hundes gesammelt.

Jetzt stehst du vor einer neuen Herausforderung: Wie organisierst du euren Alltag so, dass ihr beide gut damit leben könnt?

Aus meinen eigenen 19 Jahren mit chronisch kranken Hunden weiß ich: Der Schlüssel liegt nicht in der Perfektion, sondern in einer durchdachten, aber flexiblen Struktur.

Warum Struktur bei chronischen Erkrankungen beim Hund so wichtig ist

Chronische Krankheiten bringen Unsicherheit mit sich. Du weißt nicht, wie der nächste Tag oder die nächste Woche wird, ob die Medikamente anschlagen oder ob sich der Zustand verschlechtert. In dieser Unsicherheit wird Struktur zu einem Anker – für euch beide.

Hunde sind Gewohnheitstiere. Sie finden Sicherheit in wiederkehrenden Abläufen. Wenn sich durch die Krankheit vielleicht schon vieles verändert hat, braucht dein Hund wenigstens einige Konstanten, an denen er sich orientieren kann. Gleichzeitig hilfst du dir selbst: Eine klare Tagesstruktur gibt dir das Gefühl, die Kontrolle zurückzugewinnen.

Chronische Erkrankungen beim Hund schränken den Alltag oft ein.

Die Tage sind nicht so gut planbar, wenn dein Hund eine chronische Erkrankung hat. Dennoch gibt es Möglichkeiten für Struktur und Sicherheit.

Der neue Tagesrhythmus – realistisch geplant

Vergiss erst einmal alles, was du über den „perfekten“ Hundetag gelesen hast. Bei einem chronisch kranken Hund geht es nicht mehr um das Optimum, sondern um das bestmögliche Leben unter den gegebenen Umständen. Das war auch jedes Mal für mich eine Umstellung.

Insbesondere nun bei Yuno, der ja nicht nur körperliche Herausforderungen hat. Da ist es manchmal schon schwierig alles vermeintlich Notwendige für das Hundeglück unter einen Hut zu bringen.

Beginne mit den absoluten Grundlagen und baue von dort aus auf:

  • Feste Fütterungszeiten: Das ist besonders wichtig, wenn dein Hund Medikamente bekommt, die zu bestimmten Zeiten oder in Relation zum Futter gegeben werden müssen. Ich empfehle, einen Wecker zu stellen – zumindest die ersten Wochen, bis es zur Routine geworden ist.
  • Medikamentengabe ritualisieren: Mache aus der Medikamentengabe kein Drama, sondern ein normales Ritual. Viele meiner Kunden nutzen dafür immer denselben Platz, dieselbe Belohnung und dieselben beruhigenden Worte. Der Hund lernt schnell: „Das gehört jetzt dazu.“
    Ich kündige auch immer an, was jetzt kommt, so z.B. sage ich “Augen”, wenn die zig verschiedenen Augenmedikamente anstehen. Oder Flynn musste viele Jahre 2-3 tgl Inhalieren, da habe ich im das Gerät erstmal hingehalten.
    Meine Hunde erkennen übrigens genau, welches Augenmedikament oder welche Tablette da jetzt kommt. Und ja, die einen sind beliebter als die anderen, also gibt es für die Unangenehmen immer ein besonders gutes Leckerli.
  • Angepasste Aktivitätszeiten: Beobachte deinen Hund genau. Wann hat er die meiste Energie? Wann ist er müde? Bei vielen chronischen Krankheiten gibt es „gute“ und „schlechte“ Tageszeiten. Nutze die Guten für Aktivitäten, respektiere die Schlechten für Ruhe.
    Die Kunst der flexiblen Planung bei chronischen Erkrankungen bei Hunden

Hier kommt eine wichtige Lektion, die ich sowohl beruflich als auch privat gelernt habe: Plane strukturiert, aber nicht starr. Chronisch kranke Hunde haben gute und schlechte Tage – manchmal auch gute und schlechte Stunden. Dein Tagesplan muss das berücksichtigen.

Ich erstelle für meine eigenen Hunde immer einen „Plan A“ und einen „Plan B“:

  • Plan A: Für die guten Tage – mit normalen Spaziergängen, Fitnesstraining und normales Training
  • Plan B: Für die schwierigen Tage – mit kurzen Runden, mehr Ruhepausen und angepassten Aktivitäten

Das nimmt dir den Druck, jeden Tag dasselbe leisten zu müssen, und gibt dir trotzdem eine Orientierung.

Und ja, es gibt bei uns auch komplette Pause-Tage mit 0x Gassi und keinem Training.

Und: Keine falsche Scheu vor Schmerzmitteln. Yuno bekommt lieber mal 2 Tage zügig ein Schmerzmittel und einen reduzierten Tagesplan, als dass er sonst im Zweifel 3 Wochen wieder nur an der Leine kurze Runde gehen darf.

Mehr zum Thema Schmerzmittel und Schmerzen findest du in meiner entsprechende Reihe:

Schmerzmittel für Hunde: Was mich zum Umdenken brachte

Schmerztagebuch für Hunde: Ein sinnvolles Werkzeug für verantwortungsbewusste Hundehalter

Schmerzen bei Hunden richtig erkennen: Was du als Besitzer wissen musst

Schmerz & Hundegehirn: Neurobiologische Einblicke & Einfluss aufs Training

Medikamente geben bei chronischen Erkrankungen beim Hund – ohne Stress

Die regelmäßige Medikamentengabe ist für viele Hundebesitzer (und Hunde) eine der größten Herausforderungen im neuen Alltag. Nach fast zwei Jahrzehnten Erfahrung kann ich dir versichern: Es wird zur Routine, aber nur wenn du es richtig angehst.

Der Medikamenten-Organisationsplan:

  • Wochenbox verwenden: Stelle jeden Sonntag alle Medikamente für die Woche bereit. So siehst du sofort, wenn etwas fehlt.
  • Backup-System einrichten: Habe immer eine Notfallration für mindestens drei Tage zu Hause. Gerade bei wichtigen Medikamenten kann eine versäumte Lieferung problematisch werden.
  • Erinnerungshilfen nutzen: Handy-Alarm, Zettel am Kühlschrank oder Apps – finde dein System und bleibe dabei.
  • Belohnungsritual etablieren: Nach jeder Medikamentengabe gibt es etwas Positives – ein Leckerli, eine kurze Krauleinheit oder ein liebevolles Wort.
  • Wichtiger Tipp aus der Praxis: Wenn dein Hund Medikamente verweigert, zwinge ihn nicht mit Gewalt. Das macht die Situation für alle nur schlimmer. Investiere lieber die Zeit für ein entsprechendes Medical-Training.

Erste wichtige Übungen dafür findest du hier:

Anfassen ist super

Kinntarget

Seitliches Liegen

Den Wohnraum anpassen bei chronischen Erkrankungen beim Hund

Je nach Krankheit deines Hundes können kleine Anpassungen im Zuhause einen großen Unterschied machen. Als Tierphysiotherapeutin sehe ich oft, wie sehr durchdachte Umgebungsanpassungen das Leben erleichtern können.

Für Hunde mit Gelenkproblemen:

  • Rutschfeste Unterlagen auf glatten Böden
  • Rampen zu erhöhten Lieblingsplätzen
  • Orthopädische Liegeplätze an mehreren Stellen

Für Hunde mit Herz- oder Atemwegsproblemen:

  • Kühle, gut belüftete Ruheplätze
  • Wassernäpfe an mehreren Stellen
  • Kurze Wege zu wichtigen Bereichen

Für Hunde mit neurologischen Problemen:

  • Sichere, eingegrenzte Bereiche
  • Weiche Unterlagen gegen Verletzungen
  • Gute Beleuchtung für die Orientierung

Du musst nicht alles auf einmal umkrempeln. Beginne mit den wichtigsten Anpassungen und erweitere nach und nach.

Chronische Erkrankungen beim Hund bedeuten auch Veränderungen im Wohnungsumfeld.

Auch für das Autofahren sollten ggf. Anpassungen bei Hunden mit chronischen Erkrankungen erfolgen.

Pausen sind kein Luxus – sie sind Notwendigkeit

Das ist vielleicht der wichtigste Punkt, den ich dir mitgeben möchte: Du brauchst Pausen. Nicht nur dein Hund muss sich an den neuen Alltag gewöhnen – du auch. Die ständige Aufmerksamkeit, die Sorge um den Gesundheitszustand, die Medikamentengabe – all das kostet Kraft.

Plane bewusst Pausen ein:

  • Täglich: Mindestens 30 Minuten nur für dich, während dein Hund schläft oder sich dein Partner um ihn kümmert.
  • Wöchentlich: Ein längerer Zeitraum, in dem sich jemand anderes um deinen Hund kümmert
  • Monatlich: Einen halben oder ganzen Tag Auszeit

Das ist kein Egoismus, sondern Fürsorge – für dich und letztendlich auch für deinen Hund. Ein entspannter, ausgeglichener Mensch kann viel besser für einen kranken Hund sorgen als jemand, der permanent am Limit läuft.

Ich musste das erst mühsam lernen. In den ersten Jahren mit Flynn konnte ich quasi nichts abgeben – manchmal auch zu seinem Leidwesen. Kannst du dich im ersten Teil erinnern, was ich über seine Hustenanfälle berichtet habe und meine Reaktion?

Ich kann mich an eine Situation erinnern – das war noch relativ am Anfang unsere Krankheitsreise – da ging es mir so schlecht, dass ich nur noch heulend und schreiend auf dem Boden lag, so groß war meine erneute Angst um sein Leben. Mein damaliger Freund und jetziger Mann hat sich Flynn und Amy geschnappt und ist gegangen. Im ersten Moment war ich fassungslos, wie er mich in der Situation alleine lassen konnte. Er hat mir im Nachgang erzählt, wie verunsichert und verschreckt Flynn war und das konnte er nicht mit ansehen. Es kam nie wieder soweit! Ich habe gelernt, abzugeben, mir bewusst Pausen zu nehmen und auch Momente ohne schlechtes Gewissen ohne Flynn zu verbringen.

Das Netzwerk aufbauen

Ein chronisch kranker Hund verändert auch dein soziales Leben. Spontane Unternehmungen werden seltener, manche Freunde verstehen nicht, warum du so viel Zeit und Energie in einen kranken Hund investierst. Gleichzeitig brauchst du jetzt mehr denn je Menschen, die dich verstehen und unterstützen.

Baue dir bewusst dein Unterstützungsnetzwerk auf:

  • Familie und enge Freunde: Erkläre ihnen die Situation und bitte konkret um Hilfe
  • Andere Hundebesitzer mit ähnlichen Erfahrungen: Online-Gruppen oder lokale Selbsthilfegruppen
  • Professionelle Helfer: Hundesitter, die Erfahrung mit kranken Hunden haben, oder mobile Tierärzte

Kleine Erfolge feiern bei chronischen Erkrankungen beim Hund

In dem neuen Alltag mit einem chronisch kranken Hund können die großen Meilensteine seltener werden – unsere Hundesportkarrieren war beendet bevor sie angefangen hatten und auch bestimmte Urlaubspläne gingen nie. Umso wichtiger ist es, die kleinen Erfolge zu sehen und zu würdigen:

  • Ein Tag ohne Probleme bei der Medikamentengabe
  • Ein Spaziergang, bei dem dein Hund sichtlich Freude hatte
  • Eine ruhige Nacht ohne Unruhe oder Schmerzen
  • Ein Moment, in dem du merkst: „Das bekommen wir hin“

Diese kleinen Siege sind nicht weniger wert als die großen. Sie sind die Bausteine für ein gutes Leben trotz chronischer Krankheit.

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Der Weg wird zur Routine

Was sich jetzt noch überwältigend anfühlt, wird in einigen Wochen zur Normalität. Ihr werdet euch an die neuen Abläufe gewöhnen. Dein Hund wird lernen, dass die Medikamentengabe zu seinem Tag dazugehört. Ihr werdet euren eigenen Rhythmus finden.

Das bedeutet nicht, dass alles einfach wird. Es bedeutet nur, dass es zu eurem Leben wird – zu einem Leben, das anders ist als geplant, aber immer noch lebenswert und voller schöner Momente.

Du schaffst das. Einen Tag nach dem anderen. Mit Struktur, aber ohne Perfektionsdruck. Zusammen mit deinem Hund werdet ihr euren Weg finden.

Im nächsten Artikel der Serie geht es um die emotionale Achterbahnfahrt – wie du mit den Höhen und Tiefen zwischen Hoffnung und Verzweiflung umgehst.