Schmerz beim Hund ist mehr als nur ein körperliches Empfinden. In diesem Artikel erforschen wir die neurobiologischen Prozesse im Hundegehirn, die dem Schmerzempfinden zugrunde liegen, und zeigen, wie dieses Wissen uns helfen kann, unsere Hunde besser zu verstehen und zu trainieren.
Evolutionärer Hintergrund
In der Wildnis ist ein verletztes Tier ein leichtes Opfer. Daher haben Hunde im Laufe der Evolution bemerkenswerte Fähigkeiten entwickelt, um Schmerzen zu verbergen. Dieses Verhalten ist tief in ihren Genen verankert und diente ursprünglich dem Überleben.
Die Fähigkeit, Schmerzen zu unterdrücken, hat sich als entscheidender Überlebensmechanismus herausgestellt. Diese evolutionäre Anpassung macht es für uns Menschen oft schwierig, Schmerzen bei unseren Hunden (bzw. auch Katzen und Pferden) zu erkennen.
„Obwohl allgemein bekannt ist, dass Schmerzen zu Problemverhalten führen können, wird dies nur selten thematisiert und dokumentiert“, heißt es in der 2020er Studie „Pain and Problem Behavior in Cats and Dogs“ von Daniel S. Mills und anderen Forschern.
Diese Aussage unterstreicht, wie wichtig es ist, als Hundehalter aufmerksam zu sein und stets „Schmerz“ als mögliche Ursache für Verhaltensveränderungen oder Schwierigkeiten im Hundetraining wahrzunehmen. Die Studie fand heraus, das Schmerzen häufig als Ursache für Problemverhalten bei Katzen und Hunden übersehen wird, obwohl sie in 28% bis zu 82% der Fälle der untersuchten Fälle eine Rolle spielten.
Das Hundegehirn & Schmerz: Ein komplexes Zusammenspiel
Nozizeption: Der erste Schritt
Die Schmerzwahrnehmung beginnt mit der Nozizeption – der Erkennung von schädlichen Reizen durch spezialisierte Nervenzellen, die Nozizeptoren. Diese Rezeptoren befinden sich in verschiedenen Geweben des Hundekörpers und reagieren auf mechanische, thermische oder chemische Reize.
Schmerzweiterleitung
Von den Nozizeptoren werden Schmerzsignale über afferente Nervenfasern zum Rückenmark geleitet. Hier findet eine erste Verarbeitung statt, bevor die Signale zum Gehirn weitergeleitet werden.
Schmerzverarbeitung im Hundegehirn: Vom Rezeptor zum Empfinden
Im Gehirn werden Schmerzsignale in verschiedenen Regionen verarbeitet:
- Thalamus: Fungiert als Relay-Station und leitet Signale an andere Gehirnbereiche weiter.
- Somatosensorischer Cortex: Verantwortlich für die Lokalisation und Intensitätswahrnehmung des Schmerzes.
- Insula und anteriorer cingulärer Cortex: Spielen eine Rolle bei der emotionalen Komponente des Schmerzes.
- Amygdala: Beeinflusst die Angst- und Stressreaktion auf Schmerz.
Neurotransmitter & Schmerz: Die chemischen Akteure im SchmerzgeschehenVerschiedene Neurotransmitter spielen eine wichtige Rolle bei der Schmerzverarbeitung:
- Glutamat: Hauptexzitatorischer Neurotransmitter bei der Schmerzübertragung.
- Substanz P: Verstärkt die Schmerzwahrnehmung.
- GABA und Glycin: Wichtige inhibitorische Neurotransmitter, die Schmerzsignale dämpfen können.
- Serotonin und Noradrenalin: Modulieren die Schmerzwahrnehmung im absteigenden Schmerzhemmsystem.
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Studien haben gezeigt, dass „eine verringerte Serotoninaktivität mit erhöhter Aggressivität und anderen Verhaltensänderungen in Verbindung gebracht wurde.“ Das erklärt auch die Schwierigkeiten im Training mit Hunden, die unter Schmerzen leiden.
Da Serotonin eine Schlüsselrolle bei der Regulierung von Stimmung, Schlaf, Appetit und anderen Körperfunktionen spielt, kann ein Mangel weitreichende Auswirkungen haben:
- Serotonin ist an der Produktion von Melatonin beteiligt, einem Hormon, das den Schlaf-Wach-Rhythmus reguliert. Ein Mangel an Serotonin kann zu Schlafproblemen wie Schlaflosigkeit führen. Mangelnder Schlaf erhöht wiederum die Stressanfälligkeit und hemmt die Konzentrationsfähigkeit. Kein gutes Setting für erfolgreiches Training.
- Impulsivität: Eine verringerte Serotoninausschüttung kann zu impulsivem Verhalten führen, was ebenfalls das Hundetraining erschwert.
- Erhöhung der Schmerzempfindlichkeit: Leider ergibt sich ein Teufelskreis. Schmerzen verringern die Serotoninausschüttung und ein verringerter Serotoninhaushalt erhöht wiederum die Schmerzempfindlichkeit, was also zu noch mehr Schmerzempfinden führt.
Chronischer Schmerz & das Hundegehirn: Zentrale Sensibilisierung & Folgen
Bei chronischen Schmerzen kann es zu einer zentralen Sensibilisierung kommen. Dr. Daniel Mills und Kollegen erklären: „Dies kann zu Hyperalgesie (erhöhte Schmerzempfindlichkeit) und Allodynie (Schmerzempfindung bei normalerweise nicht schmerzhaften Reizen) führen.“
Auf neurobiologischer Ebene kommt es dabei zu Veränderungen in der Erregbarkeit von Neuronen im Rückenmark und Gehirn.
Aus der Praxis: Ein chronischer Schmerzpatient kommt im Verhältnis zu einem Patienten mit Akut-Schmerzen mit den vorhandenen Schmerzen oft besser klar. So empfindet der Akut-Patient einen Schmerz ggf. mit einer Stärke von 10 (Skala von 1-10), während hingegen der chronische Schmerzpatient den gleichen Schmerz eher bei einer 7 einordnen würde. Kommt nun aber bei chronischen Schmerzpatienten ein neuer oder akuter Schmerz hinzu, reagiert er empfindlicher bei einem kleineren Schmerzreiz als der gesunde Patient, der einem kleineren Schmerzreiz ausgesetzt ist.
Ich kann aus meiner eigener Erfahrung als Tiertherapeutin bestätigen: Es findet ein Stück weit eine Gewöhnung an chronische Schmerzen statt. Es reicht allerdings ein kleiner zusätzlicher Schmerzreiz, um in einen sehr unangenehmen Schmerzbereich zu kommen.
Endogenes Schmerzhemmsystem
Hunde besitzen, wie Menschen, ein endogenes Schmerzhemmsystem. Dieses System kann durch die Ausschüttung körpereigener Opioide (Endorphine) Schmerzen lindern.
So erklärt sich, warum manche Hunde versuchen ihre Schmerzen zu lindern, indem sie sich viel und schnell bewegen (s. „Schmerzen bei Hunden richtig erkennen„).
Zudem werden in Gefahren- und Stresssituationen Hormone wie Cortisol und Adrenalin freigesetzt, die kurzfristig schmerzlindernd wirken können.
Stress, Angst & Schmerz: Ein Teufelskreis im Hundegehirn
Die neurobiologischen Prozesse der Schmerzverarbeitung und -unterdrückung haben direkte Auswirkungen auf das Verhalten von Hunden, z.B.:
- Verändertes Sozialverhalten: Schmerzen können zu Rückzug oder defensiver Aggression führen, was auf Veränderungen in der Amygdala und im präfrontalen Cortex zurückzuführen ist.
- Veränderte Stressreaktion: Chronische Schmerzen können die HPA-Achse (Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden-Achse) und die Sympathikus-Nebennierenmark-Achse (SAM-Achse) beeinflussen. Dies führt zur Freisetzung von Stresshormonen wie Cortisol und Katecholaminen. „Eine chronische Aktivierung dieser Achsen kann zu anhaltenden Stressreaktionen führen und zu Angstzuständen und aggressivem Verhalten beitragen,“ erläutern Experten.
- Lernverhalten: Schmerzen können die synaptische Plastizität im Hippocampus beeinflussen, was Auswirkungen auf das Lernverhalten haben kann.
- Verhaltensanpassungen: Hunde entwickeln oft Schutzmechanismen, um weitere Verletzungen zu vermeiden. Dies kann sich in defensiver Aggression, sozialem Rückzug oder verringerter Aktivität äußern. „Hunde können in bestimmten Situationen, in denen sie zuvor Schmerzen erfahren haben, aggressiver reagieren“, warnen Forscher.
Fallbeispiel aus der Praxis: Ein bislang freundlicher Hund erlebte ein sehr schmerzhaftes traumatisches Erlebnis durch einen Menschen. Beim ersten Behandlungstermin in meiner Praxis kam ich in die Nähe des besagten Körperbereiches. Ich hatte den Hund nicht berührt, lediglich meine Hand langsam in die Nähe der betroffenen Stelle bewegt, und schon versuchte der Hund, mich mit einem Biss abzuwehren. Dies war ein reiner Schutzmechanismus. Mehrere Behandlungstermine später, in denen ich zunächst lediglich mit Geräten und nicht mit meinen Händen in diesem Bereich gearbeitet hat, war das Vertrauen wieder soweit hergestellt, dass sich der Hund wieder von Menschen an dieser Stelle anfassen ließ.
Das Fallbeispiel zeigt: Manchmal braucht es mehr Zeit in der Therapie, bis dein Hund so behandelt werden kann, wie es der Therapieplan grundsätzlich vorsehen würde.
Fazit
Es ist wichtig zu verstehen, dass die Beziehung zwischen Schmerz und Verhalten bei Hunden komplex und bidirektional ist. Schmerzen können signifikante Verhaltensänderungen hervorrufen, wie Aggression, Angst oder Rückzug. Gleichzeitig können Stress und Angst die Schmerzwahrnehmung verstärken, was zu einem Teufelskreis führen kann.
Dr. Stanley Coren, ein renommierter Experte für Hundeverhalten, erklärt in Psychology Today: „Hunde haben ein ähnliches neurologisches System wie Menschen, was darauf hindeutet, dass sie Schmerzen ähnlich empfinden.“ Diese Erkenntnis unterstreicht die Wichtigkeit, Schmerzen bei Hunden ernst zu nehmen und angemessen zu behandeln.
Hunde machen es uns nicht immer leicht, Schmerzen schnell zu erkennen. Auch subtile Anzeichen erkennen zu lernen ist also essentiell für eine gute Gesundheitsfürsorge. Neurobiologisch bedingte Mechanismen wie zentrale Sensibilisierung und Neurotransmitter-Ungleichgewichte können das Verhalten und die Schmerzempfindlichkeit der Hunde stark beeinflussen. Stress, Angst und verändertes Verhalten sind häufige Begleiterscheinungen von Schmerzen, die zudem den Teufelskreis verstärken können.
Ein ganzheitlicher Ansatz zur Schmerzlinderung und Stressbewältigung ist daher unerlässlich für das Wohl unserer Hunde. Stressminderung, Schmerzlinderung und angepasstes Training mit dem Hund sollten Hand in Hand gehen, um die bestmögliche Lebensqualität für unsere vierbeinigen Freunde zu gewährleisten.
Ausblick
In zukünftigen Artikeln werden wir die Unterschiede zwischen akutem und chronischem Schmerz betrachten und wie sich Schmerzen in verschiedenen Bereichen auswirken können. Zudem folgen Artikel zur multimodalen Schmerztherapie und Prävention.
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Weitere für den Artikel verwendete Quellen und Studien:
- A Review of Medical Conditions and Behavioral Problems in Dogs and Cats
- Pain and Problem Behavior in Cats and Dogs
- An evolutionary medicine perspective on pain and its disorders
- Pain In Pet Dogs: The Secret Epidemic
- Cracking the Code of Canine Pain: What Your Dog’s Behavior Reveals About Chronic Pain