Als Hundephysiotherapeutin und Hundetrainerin begegne ich nahezu täglich eine enge Verbindung: Stress beim Hund und Schmerz beim Hund. In meiner über 11-jährigen Berufserfahrung habe ich gelernt, dass wir diese Verbindung nicht unterschätzen dürfen. Lass mich dir erklären, warum das so wichtig ist und was du dagegen tun kannst.
Warum Stress beim Hund und Schmerz untrennbar verbunden sind
Stell dir vor, dein Hund hat Schmerzen in der Hüfte. Was passiert im Körper? Zunächst einmal reagiert der Körper u.a. mit Muskelanspannung – ein natürlicher Schutzmechanismus. Diese Anspannung führt zu einer veränderten Körperhaltung und Bewegung. Dein Hund versucht, die schmerzende Stelle zu entlasten. Dabei werden andere Körperregionen überlastet, was zu weiteren Verspannungen und letztlich zu neuen Schmerzpunkten führt.
Ausführlicher erkläre ich das in meinem Blogartikel „Die Schmerzspirale: Wenn der Schmerz zur Belastung wird“
Aber das ist noch nicht alles. In meiner physiotherapeutischen Praxis sehe ich häufig, wie Schmerzen das Stresssystem aktivieren. Der Körper schüttet Stresshormone aus, die Muskulatur spannt sich noch mehr an, die Atmung wird flacher, das Immunsystem wird geschwächt. All das macht den Körper noch empfindlicher für Schmerz. Ein echter Teufelskreis entsteht.
Was passiert bei Stress beim Hund?
Als Hundetrainerin werde ich oft gefragt, was Stress eigentlich genau ist. Lass es mich dir erklären: Stress ist zunächst einmal eine völlig normale und lebenswichtige Reaktion des Körpers. Wenn dein Hund einer Herausforderung begegnet – sei es ein unbekanntes Geräusch, eine neue Situation oder auch ein körperliches Unwohlsein – reagiert sein Körper mit einem komplexen Anpassungsmechanismus.
Die Stressreaktion im Detail
Im Moment der Stressauslösung passiert Erstaunliches im Körper deines Hundes. Das sympathische Nervensystem wird aktiviert, und innerhalb von Sekunden werden Stresshormone wie Adrenalin und Noradrenalin ausgeschüttet. Diese bewirken:
- Eine Erhöhung der Herzfrequenz
- Eine Beschleunigung der Atmung
- Eine verbesserte Durchblutung der Muskulatur
- Eine Erweiterung der Pupillen
- Eine verstärkte Schweißproduktion (bei Hunden an den Pfoten)
- Eine Umverteilung der Energiereserven
Kurz darauf wird ein weiteres wichtiges Stresshormon ausgeschüttet: Cortisol. Es sorgt dafür, dass dem Körper mehr Energie zur Verfügung steht, indem es den Blutzuckerspiegel erhöht und Fettreserven mobilisiert.
All diese Mechanismen sind wichtig, um schnell reagieren zu können: Entweder mit Flucht oder Kampf – zumindest glaubt der Körper, dass das folgen wird. Die Steinzeit lässt grüßen 😉
Akuter versus chronischer Stress beim Hund
Man unterscheidet u.a.:
Akuter Stress ist wie ein kurzer Sprint – er aktiviert deinen Hund und macht ihn leistungsfähig. Diese Form von Stress ist wichtig und gesund. Es kann eben als negativer Stress für eine schnelle Fight- or -Flight-Lösung sorgen oder als positiver Stress zu einer erhöhte Erregung oder auch Konzentration führen. Denk an die Freude beim Spielen oder die kurze Anspannung beim Erlernen einer neuen Übung. Nach der Aktivierung kehrt der Körper in seinen normalen Zustand zurück.
Chronischer Stress hingegen ist wie ein Marathon ohne Pause – er zermürbt den Körper. Wenn dein Hund über lange Zeit gestresst ist, bleibt sein Körper im Alarmzustand. Die dauerhaft erhöhten Stresspegel haben weitreichende Folgen:
- Das Immunsystem wird geschwächt
- Die Verdauung wird beeinträchtigt
- Die Muskulatur bleibt dauerhaft angespannt
- Die Regenerationsfähigkeit nimmt ab
- Die Schmerzempfindlichkeit steigt
- Das Denk- und Lernvermögen wird beeinträchtigt
Individuelle Stressreaktionen
Wie wir Menschen reagieren auch Hunde unterschiedlich auf Stress. Während manche mit Hyperaktivität reagieren, ziehen sich andere völlig zurück. Diese individuellen Reaktionen werden beeinflusst durch verschiedenen Faktoren beeinflusst.
Besonders wichtig zu verstehen ist: Was für den einen Hund entspannend ist, kann für den anderen puren Stress bedeuten.
Die Früherkennung von Schmerzen u.a. durch Stressanzeichen beim Hund
Als Hundephysiotherapeutin sehe ich häufig, dass Verhaltensänderungen den körperlichen Symptomen vorausgehen. Neueste Studien zeigen, dass bestimmte Verhaltensänderungen verlässliche Indikatoren für chronische Schmerzen sein können. Besonders aufmerksam solltest du werden bei:
- Verlängerter Erholungszeit nach Stresssituationen
- Erhöhter Ängstlichkeit in vorher unproblematischen Situationen
- Reduziertem Interesse an Spielzeug und Beschäftigung
- Eingeschränkten sozialen Interaktionen
- Vermeidungsverhalten
Interessiert es dich zu lernen, wie du Schmerzen und Auffälligkeiten bei deinem Hund erkennen und testen kannst, empfehle ich dir meinen entsprechenden Online-Vortrag.
Besonders interessant: Forschungen zeigen, dass Hunde mit chronischen Schmerzen deutlich längere Erholungszeiten nach Stress benötigen. Was früher in Minuten bewältigt wurde, kann nun Stunden dauern. Diese verzögerte Erholung ist ein wichtiger Frühindikator, noch bevor offensichtliche körperliche Symptome auftreten.
Geräuschempfindlichkeit als Warnsignal
Ein besonders wichtiger Aspekt, den aktuelle Studien aufzeigen: Viele Hunde mit chronischen Schmerzen entwickeln eine verstärkte Geräuschempfindlichkeit. Dabei fällt auf:
- Laute Geräusche sind bei fast allen Schmerzpatienten ein Auslöser
- Die Reaktionen generalisieren sich häufig auf die gesamte Umgebung, in der die Geräusche auftreten
Die oft übersehenen Anzeichen für Stress und Schmerz beim Hund
In meinen Therapiesitzungen stelle ich immer wieder fest, dass viele Hundehalter die frühen Warnsignale übersehen. Dein Hund wird dir aber sehr deutlich zeigen, wenn Stress und Schmerz ihn belasten. Und tatsächlich ähneln sich die Anzeichen ganz oft. Achte besonders auf:
- Veränderte Atmung: Auch in Ruhephasen flache, schnelle Atmung oder vermehrtes Hecheln
- Mikrobewegungen: Kleine Zuckungen der Hautmuskulatur, die auf Verspannungen hinweisen
- Veränderte Bewegungsmuster: Zum Beispiel verzögertes Aufstehen, Schwierigkeiten beim Hinlegen oder Treppenlaufen
- Verhaltensänderungen: Dein sonst verschmuster Hund möchte plötzlich nicht mehr berührt werden
- Schlafstörungen: Häufiges Umherwandern in der Nacht oder Schwierigkeiten, eine bequeme Position zu finden
- Veränderte Körperhaltung: Ein aufgekrümmter Rücken oder eine schiefe Kopfhaltung können auf Schmerzen hinweisen
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Die neurologische Komponente: Warum Stress beim Hund und Schmerz sich gegenseitig verstärken
Aktuelle Forschungsergebnisse belegen eindrücklich, wie eng Stress und Schmerz zusammenhängen. Was viele nicht wissen: Chronischer Stress verändert tatsächlich die Schmerzverarbeitung im Gehirn. In meiner Arbeit als Physiotherapeutin sehe ich, wie das Nervensystem durch anhaltenden Stress überempfindlich wird. Das führt dazu, dass selbst leichte Berührungen als schmerzhaft empfunden werden können. Mediziner nennen das „zentrale Sensibilisierung“.Was im Nervensystem deines Hundes passiert, ist hochkomplex und erklärt, warum wir beide Aspekte niemals getrennt betrachten dürfen.
Das Schmerzgedächtnis verstehen
Stell dir das Nervensystem deines Hundes wie ein hochsensibles Alarmsystem vor. Bei wiederholten oder anhaltenden Schmerzen wird dieses System immer empfindlicher. Wissenschaftler nennen diesen Prozess „Schmerzgedächtnis“ oder „Pain Memory“. In meiner täglichen Arbeit sehe ich, wie sich dies manifestiert:
- Die Schmerzreizschwelle sinkt kontinuierlich
- Harmlose Berührungen werden plötzlich als schmerzhaft empfunden
- Schmerzreaktionen treten auch in nicht betroffenen Körperregionen auf
- Der Hund reagiert bereits auf die Erwartung von Schmerz
Die Rolle der Neuroplastizität
Unser Gehirn – und das gilt auch für Hundehirne – verändert sich ständig. Diese Anpassungsfähigkeit nennen wir Neuroplastizität. Bei chronischen Schmerzen führt sie leider oft zu ungünstigen Veränderungen:
- Schmerzbahnen werden effizienter und schneller
- Das „Schmerzareal“ im Gehirn vergrößert sich
- Die körpereigene Schmerzhemmung wird schwächer
- Stressreaktionen werden schneller ausgelöst
Der Einfluss von Stress beim Hund auf die Schmerzverarbeitung
Stress verändert die Schmerzwahrnehmung auf mehreren Ebenen:
- Auf Rückenmarksebene:
- Stress aktiviert spezielle Nervenzellen (Wide Dynamic Range Neurons)
- Diese verstärken die Weiterleitung von Schmerzreizen
- Selbst leichte Berührungsreize werden als Schmerzsignale interpretiert
- Im Gehirn:
- Das limbische System (zuständig für Emotionen) wird überaktiv
- Die Amygdala (Angstzentrum) reagiert verstärkt
- Schmerzhemmende Systeme werden unterdrückt
- Im peripheren Nervensystem:
- Entzündungsmediatoren werden vermehrt ausgeschüttet
- Nervenenden werden sensibler
- Die Muskelspannung erhöht sich
Chronifizierung verstehen und verhindern
Besonders kritisch wird es, wenn sich Schmerzen chronifizieren. Was dabei im Nervensystem passiert:
- Das Gehirn „lernt“ den Schmerz
- Neuronale Verbindungen für Schmerzwahrnehmung werden verstärkt
- Das Schmerzsignal wird zur „Standardeinstellung“
- Stress verstärkt diesen Prozess zusätzlich
Therapeutische Konsequenzen
Diese neurologischen Erkenntnisse haben direkte Auswirkungen auf meine therapeutische Arbeit:
- Frühzeitige Intervention:
- Schnelles Handeln bei ersten Schmerzanzeichen
- Konsequente Stressreduktion von Anfang an
- Ganzheitliche Behandlung:
- Kombination aus manueller Therapie und Verhaltensmodifikation
- Einbeziehung von Entspannungstechniken
- Anpassung der Umgebung zur Stressreduktion
Ganzheitliche Lösungsansätze aus der Praxis
In meiner kombinierten Rolle als Physiotherapeutin und Hundetrainerin setze ich auf einen umfassenden Behandlungsansatz.
Therapie
Gemäß den Indikationen gibt es eine passende individuelle Therapie. Ggf. folgt ein Programm für Hundefitnesstraining zuhause.
Reduktion von Stress beim Hund im Alltag
Als Hundetrainerin empfehle ich dir, den Alltag deines Hundes genau zu analysieren. Wo entstehen Stresssituationen? Oft sind es die kleinen Dinge, z.B.:
- Zu lange Sozialkontakte mit anderen Hunden
- Überforderung durch zu viel Training
- Fehlende Rückzugsmöglichkeiten
- Unvorhersehbare Änderungen im Tagesablauf
Entspannung beim Hund fördern
Entwickle gemeinsam mit deinem Hund eine Entspannungsroutine:
- Schaffe einen ruhigen Platz, der nur positive Assoziationen hat
- Führe regelmäßige, kurze Massagesessions durch (Du kannst z.B. die Massage am Hund in meinem Online-Vortrag lernen)
- Plane aktive Ruhephasen in den Tag ein
- Nutze Beschäftigungsmöglichkeiten, die Ruhe fördern, wie Schnüffelarbeit oder sanfte Körperarbeit
Ein persönliches Schlusswort zum Thema Zusammenhang von Stress beim Hund und Schmerzen
In meiner täglichen Arbeit erlebe ich immer wieder, wie wichtig es ist, Stress und Schmerz als Einheit zu betrachten. Nur wenn wir beide Aspekte berücksichtigen, können wir unseren Hunden wirklich helfen. Dabei ist jeder Hund ein Individuum, und was bei dem einen funktioniert, muss beim anderen nicht passen. Wichtig ist, dass du deinen Hund genau beobachtest und bei Unsicherheiten nicht zögerst, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen. Gemeinsam finden wir einen Weg, deinem Hund ein schmerzfreies und entspanntes Leben zu ermöglichen.
Quellen u.a.:
Investigating the effect of anxiety on pain scores in dogs
Association between chronic low back pain and degree of stress: a nationwide cross-sectional study
Walking the Tightrope: A Proposed Model of Chronic Pain and Stress