Ein kranker Hund, chronisch krank – Teil 3

Du dachtest, das Schlimmste wäre überstanden. Die Diagnose ist gestellt, der Alltag neu organisiert, die ersten Medikamente zeigen Wirkung. Und dann kommt dieser eine Morgen, an dem dein kranker Hund nicht aufstehen will. Oder dieser Abend, an dem er anders atmet als sonst. Plötzlich ist sie wieder da – diese lähmende Angst, dass alles bergab geht.

Willkommen auf der emotionalen Achterbahnfahrt, die das Leben mit einem (chronisch) kranken Hund begleitet.

Als Stress-Coachin und Tierphysiotherapeutin kenne ich diese Höhen und Tiefen aus der Praxis unzähliger Hundebesitzer. Als jemand, die seit 19 Jahren mit chronisch kranken Hunden lebt, kenne ich sie auch aus dem eigenen Herzen.
Die gute Nachricht: Du bist nicht verrückt. Die Schlechte: Es wird nicht einfach aufhören. Aber es wird handhabbarer.

Kranker Hund und dein Gefühlschaos

Leben mit einem chronisch kranken Hund bedeutet, ständig zwischen verschiedenen emotionalen Zuständen zu pendeln. Manchmal innerhalb weniger Stunden, manchmal von Tag zu Tag. Das ist kein Zeichen von emotionaler Instabilität – das ist eine völlig normale Reaktion auf eine außergewöhnliche Situation.

Die häufigsten emotionalen Stationen:

  • Hoffnung: „Die neuen Medikamente scheinen zu wirken. Vielleicht wird alles gut.“ Diese Momente sind kostbar – und gleichzeitig gefährlich, weil das nächste Tief gefühlt viel stärker ist. Wie heißt der schöne Spruch? Die Hoffnung stirbt zuletzt. Auch ich „tappe“ nach 19 Jahren immer noch in diese „Falle“.
  • Angst: „Was ist, wenn es schlimmer wird? Was ist, wenn ich etwas übersehe?“ Das Gefühl vielleicht etwas zu übersehen, kann zu einem echten Problem werden. Ich musste bei Flynn mühsam lernen, dass ich ihn nicht 24/7 beobachten kann, weil das keinem gut tut. 
  • Verzweiflung: „Ich schaffe das nicht mehr. Es ist zu viel.“ Diese Tiefpunkte fühlen sich endlos an, sind aber meist zeitlich begrenzt. Was bin ich schon heulend und völlig erschöpft auf dem Boden gesessen wegen meiner Hunde. Ein unterstützendes Netzwerk wie bei mir mein Mann und meine Eltern ist hier Gold wert.
  • Schuldgefühle: „Hätte ich früher handeln müssen? Bin ich eine gute Hundehalterin?“ Diese quälenden Fragen haben selten eine befriedigende Antwort. Insbesondere wenn sich was verschlechtert hat, Yuno z.B. wieder mehr lahmt, dann bin auch ich erstmal bei Schuldgefühlen. Inzwischen kann ich aber schnell und gut damit umgehen. 
  • Wut: „Warum ausgerechnet mein Hund? Das ist so unfair!“ Wut ist ein unterschätztes, aber wichtiges Gefühl in diesem Prozess. Sagen wir mal so: Beim ersten jungen chronisch kranken Hund trösten solche Worte wie „Zum Glück ist er bei dir gelandet, du kümmerst dich so gut“. Beim zweiten jungen chronisch kranken Hund tröstet das nicht mehr. Ich habe – trotz die ganzen Jahren mit Flynn – über 1 Jahr gebraucht, um was Yuno betrifft nicht mehr ständig wütend zu sein. 
Kranker Hund bedeutet oft Verzweiflung

Flynn: Mein 2. chronisch kranker Hund – ich glaube, er mich schon sämtliche Gefühlswelten durchleben lassen.

Warum dein Körper verrückt spielt

Was viele Hundebesitzer nicht verstehen: Die emotionale Belastung hat auch körperliche Auswirkungen. Chronischer Stress durch die ständige Sorge um den kranken Hund kann sich u.a. zeigen als:

  • Schlafstörungen und Erschöpfung
  • Kopfschmerzen oder Verspannungen
  • Magenbeschwerden oder Appetitlosigkeit
  • Konzentrationsschwierigkeiten
  • Erhöhte Anfälligkeit für Infekte

Das ist nicht eingebildet. Dein Körper reagiert auf die Dauerspannung. Als Stress-Coachin sehe ich das täglich: Menschen, die sich körperlich krank fühlen, obwohl „nur“ ihr Hund krank ist.

Die Schuldgefühl-Falle bei einem kranken Hund

Eines der destruktivsten Gefühle in dieser ganzen Situation sind die Schuldgefühle. Sie kommen in verschiedenen Varianten:

  • „Ich hätte früher zum Tierarzt gehen müssen.“ – Chronische Krankheiten entwickeln sich oft schleichend. Selbst Tierärzte übersehen manchmal frühe Anzeichen. Du bist kein Mediziner.
  • „Ich mache nicht genug.“ – Du tust alles, was in deiner Macht steht. Mehr ist nicht möglich, und das ist genug.
  • „Andere Hundebesitzer machen das besser.“ – Jeder Hund, jede Krankheit, jede Lebenssituation ist anders. Vergleiche helfen niemandem.
  • „Ich denke zu oft an mich selbst.“ – Du bist auch ein Mensch mit Bedürfnissen. Die zu ignorieren hilft niemandem, schon gar nicht deinem Hund.

Diese Schuldgefühle sind normal, aber sie sind nicht hilfreich. Im Gegenteil: Sie kosten Energie, die du für wichtigere Dinge brauchst.

Mein erste Gedanke am Morgen gilt meinen kranken Hunden und auch der letzte Gedanke am Abend gilt oft den Erkrankungen meiner Hunde. Schuldgefühle sind nur noch selten dabei. Das musste ich auch erst lernen. Ich weiß noch, wie ich beim Start in den ersten Urlaub ohne Flynn geheult habe wie ein Schlosshund. Ich kam mir so schäbig vor, meinen todkranken Hund „alleine“ zu lassen (er hatte eine top Betreuung und hat die 2 Wochen sehr gut ohne mich geschafft). Viele Jahre konnte ich dann mehr oder weniger gut loslassen. Jetzt wo Flynn sehr alt ist und noch kränker ist, fällt es mir wieder sehr schwer etwas ohne ihn zu machen. 

Ein kranker Hund kostet Kraft, da muss auch Zeit für Erholung sein.

Loslassen und nicht den kranken Hund mit den eigenen Emotionen ständig zu „überfrachten“ gehört auch zum Leben mit einem chronisch kranken Hund. Bild: VitaliTier

Der Umgang mit schlechten Tagen, wenn dein Hund krank ist

Es wird schlechte Tage geben. Tage, an denen dein Hund lethargisch ist, nicht fressen will oder Schmerzen zu haben scheint. Tage, an denen du denkst: „Das war’s. Es geht bergab.“

Hier ist dein Notfallplan für solche Momente:

  • Erstmal durchatmen. Nicht jeder schlechte Tag bedeutet eine Verschlechterung. Auch gesunde Lebewesen haben mal einen schlechten Tag. Kannst du dich an meine Panikattacken erinnern, von denen ich im ersten Teil berichtet habe? Erstmal durchatmen war damals schier unmöglich. Inzwischen kann ich da und ich nutze inzwischen bewusst Atemtechniken aus meiner Ausbildung zur Stress- und Burnout-Coachin. 
  • Dokumentieren statt dramatisieren. Schreibe auf, was du beobachtest: Wann? Wie lange? Wie stark? Das hilft dir, objektiver zu werden und gibt deinem Tierarzt wertvolle Informationen.
  • Feste Entscheidungsregeln haben. Überlege dir im Voraus: Bei welchen Symptomen rufst du sofort den Tierarzt? Bei welchen wartest du einen Tag ab? Das nimmt dir die Entscheidung in emotionalen Momenten ab.
  • Dein Support-System aktivieren. Ruf jemanden an, der dich kennt und dir helfen kann, die Situation realistisch einzuschätzen. Ich weiß meinen Mann da so unglaublich zu schätzen. Viele Jahre war er in schlimmen Momenten der Fels in der Brandung. 

Die Kraft der kleinen Freuden bei einem kranken Hund

Inmitten all der Sorgen und Ängste passiert etwas Erstaunliches: Du entwickelst einen neuen Blick für die kleinen Dinge. Der Moment, in dem dein Hund schwanzwedelnd sein Futter annimmt. Der Spaziergang, bei dem er interessiert schnüffelt. Das zufriedene Seufzen, wenn er sich in sein Körbchen legt.
Diese Momente sind nicht weniger wert, weil dein Hund krank ist. Sie sind mehr wert.

Als Tierphysiotherapeutin erlebe ich oft, wie Hundebesitzer sagen: „Früher habe ich das alles für selbstverständlich gehalten.“ Die chronische Krankheit des Hundes schärft den Blick für das, was wirklich wichtig ist. Das ist ein Geschenk – auch wenn es ein bitter erworbenes ist.

Und jetzt erzähle ich dir von meinem Herzensprojekt, welches in wenigen Wochen startet: Beschäftigungskurse für Hund-Halter-Teams mit Einschränkungen durch Alter, Krankheit oder Sensibilität des Hundes. Tricktraining und Nasenarbeit angepasst auf diese Hunde. Gemeinsame Glücksmomente schaffen, mal die Sorgen vergessen, einfach mal wieder Spaß am und mit dem eigenen Hund erleben – das ist mein Ziel bei diesen Kursen.

Verpasse nicht den Start und melde dich gleich bei meinem kostenlosen Newsletter an: 

Strategien für die emotionale Stabilität im Leben mit krankem Hund

Nach 19 Jahren mit chronisch kranken Hunden und der Begleitung unzähliger Hundebesitzer habe ich gelernt: Es gibt Strategien, die wirklich helfen.

  • Die 3-Tage-Regel: Bei beunruhigenden Veränderungen warte drei Tage ab (außer bei Notfällen), bevor du in Panik verfällst. Oft normalisiert sich die Situation von selbst.
  • Das Tagebuch: Führe ein kleines Tagebuch über den Zustand deines Hundes. Das hilft dir, Muster zu erkennen und objektiver zu werden. Schlechte Tage fühlen sich weniger bedrohlich an, wenn du schwarz auf weiß siehst, dass es in der Regel wieder besser wird.
  • Feste Sorgenzeiten: Erlaube dir bewusst 15 Minuten am Tag, in denen du dir alle Sorgen machen darfst. Außerhalb dieser Zeit schiebst du Grübelgedanken konsequent weg. Das klingt verrückt, funktioniert aber.
  • Körperliche Entlastung: Sport, Yoga, Spaziergänge ohne Hund – alles, was deinem Körper hilft, Stress abzubauen. Ein entspannter Körper macht einen entspannteren Geist.
  • Professionelle Hilfe: Scheue dich nicht, einen Therapeuten oder Coach aufzusuchen. Die emotionale Belastung durch einen chronisch kranken Hund ist real und berechtigt professionelle Unterstützung.

Wenn andere nicht verstehen

„Es ist doch nur ein Hund.“ Diesen Satz hast du wahrscheinlich schon gehört. Von Menschen, die es gut meinen, aber nicht verstehen können, was dein Hund für dich bedeutet.

Du musst dich nicht rechtfertigen. Du musst nicht erklären, warum du bereit bist, so viel Zeit, Energie und Geld in die Gesundheit deines Hundes zu investieren. Menschen, die es nicht verstehen, werden es auch nach stundenlangen Erklärungen nicht verstehen.

Konzentriere deine Energie auf die Menschen, die dich unterstützen. Und vergiss nicht: Es gibt viel mehr von uns, als du denkst. Wir sind nur oft unsichtbar, weil jeder zu Hause mit seinem kranken Hund beschäftigt ist.

Die Angst vor dem Abschied

Sie ist immer da, diese Angst. Manchmal leise im Hintergrund, manchmal lauter als alles andere: die Angst vor dem Tag, an dem du Abschied nehmen musst. Und das eint wahrscheinlich alle Hundebesitzer – egal, ob kranker Hund oder nicht.
Diese Angst ist normal und berechtigt. Sie zeigt, wie sehr du deinen Hund liebst. Aber sie darf nicht dein Leben bestimmen. Jeder Tag, den du mit der Angst vor dem Abschied verbringst, ist ein verlorener Tag mit deinem Hund.

Es ist ein Paradox: Die Zeit mit einem chronisch kranken Hund ist begrenzt und dadurch kostbarer. Gleichzeitig ist sie überschattet von der Angst vor dem Verlust. Den Balanceakt zwischen realistischer Vorbereitung und dem Leben im Hier und Jetzt zu meistern, ist eine der größten Herausforderungen.

Deine emotionale Erste-Hilfe-Box

Erstelle dir eine Liste mit Dingen, die dir in emotionalen Krisen helfen:

Sofortige Beruhigung:

  • Eine bestimmte Atemübung
  • Ein Lied, das dich entspannt
  • Ein Foto von deinem Hund an einem guten Tag
  • Die Nummer einer vertrauten Person

Mittelfristige Stabilisierung:

  • Ein warmes Bad oder eine Dusche
  • Ein Spaziergang in der Natur
  • Ein Gespräch mit jemandem, der versteht
  • Eine körperliche Aktivität, die dir gut tut

Langfristige Stärkung:

  • Regelmäßige Termine mit Freunden
  • Ein Hobby, das nichts mit Hunden zu tun hat
  • Professionelle Unterstützung
  • Zeit in der Natur ohne Hektik

Übrigens habe ich letzten einen Beitrag verfasst: Entspannung für Hund und Halter – 3 Tipps für dich  Schau dir den Beitrag doch gleich als Nächstes an.

Entspannung für Hund und Mensch als wichtiger Teil im Leben mit krankem Hund.

Entspannung im Leben mit einem kranken Hund kann es in vielen Varianten geben. Gerne helfe ich dir und deinem Hund die passenden für euch zu finden!

Du darfst alle Gefühle haben – auch wenn du einen kranken Hund hast

Das ist vielleicht das Wichtigste, was ich dir mit auf den Weg geben kann: Du darfst alle deine Gefühle haben. Du darfst traurig sein, auch wenn dein Hund gerade einen guten Tag hat. Du darfst wütend sein auf die Ungerechtigkeit des Lebens. Du darfst Angst haben vor der Zukunft. Du darfst erschöpft sein von der ganzen Situation.

Und du darfst auch glücklich sein. Du darfst lachen, auch wenn dein Hund krank ist. Du darfst Pläne machen, auch wenn die Zukunft ungewiss ist. Du darfst stolz auf dich sein, weil du diese schwere Situation so tapfer meisterst.
Gefühle sind nicht richtig oder falsch. Sie sind einfach da.

Die emotionale Achterbahnfahrt mit einem chronisch kranken Hund wird nie ganz aufhören. Aber du lernst, ein besserer Mitfahrer zu werden. Du lernst, die Höhen zu genießen und die Tiefen zu überstehen. Du lernst, dass Gefühle kommen und gehen – und dass du stärker bist, als du dachtest.

Im nächsten Artikel der Serie geht es um ein sehr praktisches, aber oft übersehenes Thema: Wie du die Kosten im Griff behältst, ohne dass die Behandlung deines Hundes deine finanzielle Existenz bedroht.